Tag 1: Gnadenhaft beschenkt im Geigenkamm zwischen Ötztal und Pitztal

Öffi-Anfahrt

Donnerstag, 17. August 2023. Die Öffentlichen Verkehrsmittel – unbezahlte unbezahlbare öko-bewusste Werbeeinschaltung!! – sind gut aufeinander abgestimmt. Der Bus zum Bahnhof ist gerade vor der Haustür und ich wähle einmal nicht das Rad. Dieses will ich nicht zur Versuchung für Diebe machen, wenn es drei Tage und Nächte am Bahnhof stehen würde. Zu früher Morgenstunde quillt die Maria-Theresien-Straße noch nicht über vor Menschen. Die Rolltreppen in der Halle können zum Symbol für himmelwärts und erdwärts Stimmungen werden. Schnell ist der Schnellzug – ich weiß, so heißen diese Züge offiziell nicht mehr – in Ötztal Bahnhof. Nur wenige sind es dann, die den Bus ins Ötztal nehmen. Der Busfahrer ist freundlich und wir reden miteinander. Die Fahrt hätte länger dauern können. Es geht auf der Ötztalbundesstraße die ersten Talstufen hinauf. Auf der Landstraße herrscht Massenverkehr, gerade so, als gäbe es keine Erderhitzung, keine aktuellen Feuersbrünste auf Hawaii und keine Waldbrände in Kanada, keine 50-Grad-Hitze-Rekorde im Süden Europas und keine Unwetterschäden im Süden Österreichs mit all den Tränen über Verlorenes, die damit verbunden sind. Das neue Laufkraftwerk am Ortseingang an der Ötztaler Ache ist Zeichen, dass alternative Energiegewinnung auch ohne die Gigantonomie-Pläne der TIWAG möglich ist.

Ronja-Wald und mehr

Unser Startpunkt ist Tumpen auf 1000 m Seehöhe. Der Weiler, ein Ortsteil von Umhausen, liegt außerhalb des Ötztaler Hochtourismus. Hoch über dem Tal zieht östlich der Weiler Farst die Blicke auf sich. Er thront wie ein Adlerhorst über der Engelswand umgeben von einer grünen Bergwiese. Eine steile Serpentinenstraße, die ich schon längst einmal fahren wollte, zieht sich dort hinauf. Unser Ziel heute liegt westlich, auf der anderen Talseite, dort, wo der Geigenkamm beginnt, der das Ötz- und Pitztal voneinander trennt. Bevor wir losstarten, nehmen wir uns noch Zeit für einen kurzen Besuch der Pfarrkirche mit ihrem stolzen, schlanken, langen Turm. Sie ist dem Hl. Martin geweiht – viel habe ich über diesen Pazifisten der frühen Christenheit schon geschrieben und innerlich bebt in mir das Gebet, dass endlich Frieden auf dieser Erde werde und nicht noch mehr Kriegsgerät, wie Kampfflugzeuge, in Schlachtgebiete der Ukraine geliefert werden. Bald beginnt der Serpentinenweg durch den dichten Bergwald hinauf. Es duftet nach Wald, es duftet nach den unzähligen Pilzen am Wegrand, es duftet nach Moos und Gräsern. Jeder Atemzug tut gut. „Ronja-Wald“ nennen wir ihn. Es begegnen uns aber keine bedrohlichen Dunkelvölker – und selbst wenn es sie hier gäbe, würden wir uns wohl gemeinsam beschützen. „Gibt es die Bärenhöhle wirklich?“ „Lässt sich ein Leben im Einklang mit der Natur finden?“ „Kann der Sprung über den Höllenschlund gelingen?“ Ja, denke ich mir heute optimistisch, auch wenn mich dann ein Waldstück, in dem kreuz und quer Baustämme liegen, die ein orkanartiger Sturm vor kurzem wie Streichhölzer knickte und bis zu den Wurzeln ausriss, in die Katastrophenwirklichkeit der Erderhitzung zurückholt und mich aus schöner Fantasiewelt herausholt. Uns begegnen in diesem schattigen Wald aber keine Druden und keine Rumpelwichte. Nur eine schwammerlsuchende, einheimische und sportliche Frau ist noch unterwegs, die ihren Sack bereits prallgefüllt mit Steinpilzen hat. Die Wasserflaschen füllen wir am Holzbrunnen bei der Tumpenalm nochmals auf. „Frisches Quellwasser: kein Trinkwasser!“, steht ironisch auf dem Schild. Wer möchte hier wen „verarschen“? Die beiden Männer in der Almhütte wohl nicht. Mit jedem Schritt verändern sich Blick und Vegetation. Das Ötztal liegt schon weit unten. Das Tumpental eröffnet sich nun unterhalb. Etwas besorgt schaue ich auf Gewitterwolken. Der Steig geht entlang der Flanken hoch über dem Tumpental. Die Gewitterregen der letzten Wochen haben an manchen Stellen kleine Vermurungen gemacht. Immer karger und felsiger wird die Gegend. Und dann steht sie stolz auf einem Felsenvorsprung vor uns: die Erlanger Hütte.

Erlanger Hütte, 2550 m

Es tut gut, nicht durch die Berge zu hetzen, „aus der Zeit zu fallen“, gegenwärtig zu sein, im Augenblick zu leben, zu verweilen. Die Erlanger Hütte und der romantische Wettersee dahinter sind ideal dafür. Sich spüren im kalten See durch kurzes Hineintauchen; dann über massive Felsbrocken, Geröll und ein ausgesetztes Steiglein auf den hüttennahen Dreirinnenkogel (2679 m) steigen und von dort auf See und die tief unten liegende Hütte zu schauen und weit hinein ins Ötztal und die gegenüberliegenden Stubaier Alpen, die mir von den Skitouren vertraut geworden sind. Im Liegestuhl vor der Hütte dann die Wolken beobachten, die das nahende Gewitter ankündigen. Das mitgebrachte Buch bleibt ungelesen. Lesestoff ist ein vertrauend-vertrautes Miteinander-Reden inmitten der Bergwelt. Das Gewitter wird mächtig mit Hagel und Regenguss und die Hütte wird in vieler Hinsicht als schutzgebend erfahrbar. Beim Abendessen dann Gespräche mit anderen Bergsteigenden, Zufallsbegegnungen, die Einblick geben in die Buntheit unserer Welt. Die Hüttenwirtsfamilie ist liebevoll besorgt um ihre Gäste und verwöhnt mit einem dreigängigen Menü. …

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