Sport und Leidenschaft am Bergradeln und das Auskosten neuer Bergdimensionen verbinden. Zu viert mit Mountainbike unterwegs zu sein funktioniert daher von Beginn an reibungslos. Für mich ist die Gegend ein neues noch unbekanntes Terrain. Ich habe nichts darüber gelesen, keine Karten studiert, will mich einfach überraschen lassen. Die nördliche Gardasee-Gegend kannte ich nur von einer Rennradfahrt und aus Erzählungen jener vielen, die es von Innsbruck aus immer wieder nach Arco zieht. Von dort starten wir auch los. Zu früher Morgenstunde sind die Geschäfte noch geschlossen. Von zehn Geschäften in den schmalen kleinen Gassen der Altstadt sind gefühlt neun mit Kletterausrüstungen und anderem Outdoor-Equipment. In einem Kaffee vor dem Dom bekommen wir einen Capuccino. Auf der Spitze des Turmes klettert eine schlanke Engelfigur das Kreuz hinauf. Hinter der Stadt auf einem markanten Felshügel sind die Ruinen der Burg von Arco. Riva liegt nur wenige Kilometer von Arco entfernt. Wir nehmen einfach die Straße. Palmen und Zypressen zeigen, dass hier klimatisch ein anderer Wind weht. Von Riva weg führt ein imposanter Panoramaweg entlang der westlichen Steilflanken oberhalb des Gardasees zur Ortschaft Pregasina. Die Schotterstraße ist direkt in den Felsen gehauen. Tunnel verstärken Worte, die aus dem Inneren gesagt werden. Wir nehmen uns bei einem Kaffee in Pregasina Zeit für eine Rast und für eine kleine Reparatur an der Gangschaltung meines Bikes. Den ersten Gang brauche ich auf den folgenden Kilometern dringend. Es wird teilweise so steil und grobsteinig, dass Schieben an manchen Stellen sinnvoller ist. Der Gardasee liegt immer weiter unter uns. Einmal setze ich mich auf einen Felsvorsprung. Tausend Meter senkrecht tiefer liegt am Ufer des Sees Limone mit seinen Ziegeldächern. Zum Tremalzo-Pass führt eine alte Militärstraße. Heute sind die höchsten Erhebungen nebelumweht. In regelmäßigen Abständen sind alte Befestigungsanlagen in die Felsen gehauen. Hier ist der sinnlose Stellungskrieg mehr als 100 Jahre vergangen, in der Ukraine findet er heute noch viel brutaler statt. Auf der grobsteinigen Straße mit vielen Kehren und Haarnadelkurven sausen immer wieder Downhill-Biker hinunter – viele von ihnen lassen sich mit einem Schuttle-Bus auf der gegenüberliegenden Seite bis zur Passhöhe bringen. Unmengen E-Mtb-Biker summen und brummen an uns vorbei. Mit einem Normalo-Bike fühlt man sich schon merkwürdig altmodisch. Beim Tramalzo-Klassiker wird man wohl zu keiner Jahreszeit allein sein. Der höchste Punkt der Tremalzostraße ist der Scheiteltunnel auf 1830 m. Der Gardasee liegt auf 91 m Seehöhe. Wir haben also ordentlich Höhenmeter gemacht. Auf der anderen Seite geht es nun auf Asphaltstraßen hinunter zum Ledrosee. Zuerst aber heißt es nochmals, in einem Kaffee einzukehren. Zu essen gibt es nichts. Man fühlt sich ans Ende der Saison und ans Ende der Welt versetzt. Hinunter auf der schmalen Straße gibt es kaum Verkehr und wir können die Kehren und Kurven so richtig voll ausnützen. Gut, dass wir die Runde in diese Richtung gemacht haben. Auf der Süd-Ostseite wäre eine Abfahrt grobschottrigen und an manchen Stellen auch ausgesetzten Abschnitten wohl nicht so gut. Diese Seite taugte dafür gut für die Auffahrt. Dunkelgrünblau und kristallklar liegt der See unten und ist warm genug, um darin zu schwimmen. Die danach folgende Abfahrt zurück nach Riva wird nochmals zum landschaftlichen Erlebnis. Der Ponale-Fluss hat sich in eine tiefe Schlucht eingegraben. Es wird Abend, es wird dunkel, bis wir dann in Riva in einer Pizzeria den Tag ausklingen lassen. Anders als in Arco prägen hier touristische Menschen die Flaniermeilen am See und in den Altstadtstraßen, die trotz Nebensaison gut gefüllt sind. Anders als in Arco sieht man kaum noch sportliche Beine, auf denen das Weiß des Kalks von den Kletterlängen sind und so manche Hand leichte Verletzungsspuren zeigt. Unsere Mägen sind leer – umso erfüllter die Seelen mit dem gemeinsamen Erleben einer großartigen Landschaft, die sich in vielem unterscheidet von meinen Mountainbike-Fahrten daheim. Der Radcomputer hat für heute rund 80 Kilometer und 2200 Höhenmeter gemessen. Aber diese Daten sind im Vergleich zu emotionalem Maßnehmen ohnehin fast unwichtig. Mit der Stirnlampe geht es im frühen Dunkel des Herbstes dann zurück nach Arco.