Zuerst ein dunkles Nachtschwarz im Stanzertal, in das ich getaucht bin. Die Scheinwerfer des Linienbusses beleuchten die Straße und die Betonwände links und rechts reflektieren das Licht wider. Strahlend weißhell leuchten die Venus und der Sichelmond am Himmel. In Pettneu wird es dann Morgen und der Himmel wird tiefblau. Wettersorgen muss ich mir keine machen. Und dennoch macht mir die Wärme der letzten Wochen Angst. Auf den wärmsten September der Messgeschichte folgen die wärmsten Tage im Oktober. In Landeck werden die Menschen bei Temperaturen um die 25 Grad wie im Sommer unterwegs sein können. Pettneu ist ist Ausgangspunkt der Tour auf den Hohen Riffler, dem Hausberg von Landeck, der majestätisch über dem Stanzertal hervorragt. 1900 Höhenmeter warten vom Tal aus bis zur Spitze des höchsten Berges der Verwallgruppe.
Braun-grau ist der Schotterweg hinein ins Malfontal. Die Strecke lässt sich gut mit Mountainbike befahren. Etwas südlich von der Malfon-Alm zweigt der Steig dann links ab. Gelbe Wegweiser zeigen: „Edmund-Graf-Hütte“. Ein kleiner Wasserfall. Ein Kletterfelsen. Und vor allem: Berghänge, die zu brennen scheinen vom Rot der Blätter der Heidel- und Preiselbeerensträucher.
Die Edmund-Graf-Hütte ist im Winterschlaf und leuchtet im Rot der Morgensonne über den roten Berghängen und dahinter sind tiefschwarz die Gipfelberge rund um den Hohen Riffler. Um diese Jahreszeit ist es sehr ruhig. Ich höre den Wind und manchmal das Plätschern eines silbrigen Baches über schwarzen Felsen. Nichts lenkt den Wandernden ab von seinen Träumen und seinem Philosophieren.
Graubraun ist der Gletscher, der oben am Joch links liegen gelassen wird. Steil fällt er die Flanke hinunter. Eigentlich sind es zwei Gletscher, die sich noch am Riffler halten können. Der Flirscher und der Pettneuer Gletscher. Kürzlich war ein Bericht in der Tiroler Tageszeitung. Eine touristische Kunstinitiative plant eine Aktion. Oberhalb von Landeck soll es im Freien eine Kinobestuhlung geben. Mann könne von dieser Position aus das „Sterben eines Gletschers“ wie in einem Film ansehen. In 15 Jahren werden dies Gletscherreste an den Abhängen des Rifflers Geschichte sein.
Über Blockgelände aus Gneis-Gestein geht es zum Gipfel. Dreieinhalb Stunden waren es vom Tal bis zum Gipfel. Das Kreuz steht wenige Meter davon entfernt auf einem exponierten Vorgipfel. Saharastaub von den Wirbelstürmen in Mali liegt in der Luft und schafft ganz neue Wahrnehmungsqualitäten von den unzähligen Bergketten ringsum.
Wie der Saharastaub aus einer fernen Weltgegend mich heute begleitet in einsamer Bergwelt, so sind es die Gedanken und Gefühle für die Menschen in Israel, in Palästina und im Gazastreifen. Rauscher schrieb heute in seiner STANDARD-Glosse von der Dummheit der „Hamas-Versteher“. Mit solchem Vorwurf bin ich mitgemeint. Während des Gehens in kontrastreicher Farbenlandschaft kann ich die anderen Farben in der Welt nicht ausschalten: Das Blut der Menschen, das Olivgrün der Panzer, die hellorangen Rauchwolken aus zerbombten Wohnhäusern. Der Wind, der sich über 3000 Meter eiskalt anfühlt und unten als warmer Föhn bläst, trocknet Tränen über den Zustand der Welt. Meine Seele sieht aber auch die anderen, die ermutigenden Farben: Ein Blau in den Augen von Menschen, die Mut geben, so blau wie der Himmel, ein kräftiges Braun wie die Erde, die trägt, oder die Farbe von Haaren, wie so manche Pflanze in herbstlichen Tagen.
Beim Abstieg lasse ich mich noch verleiten, den sterbenden Gletscher zu berühren, der sich unweit vom Steig bis auf das Joch zwischen Kleinem und Großem Riffler hinaufzieht. Noch. Auf dem eiskalten Weiß liegt grauer Staub. Wohl auch aus Mali. Weiter unten, nach den steilen Geröllhalden, verlockt ein kleiner See mit tiefgrünen Algen zu einer Abkühlung. Ein Spiel von Kälte und Wärme. Und immer wieder pflücke ich während des Gehens zwischendrin eine Beere aus dem rot-gelb-orangen Teppich von Heidekrautgewächsen, wechsle ab zwischen tiefvioletten Moosbeeren und knallroten Granten. Einmal hüpft ein kleiner braun-grauer Frosch über den braun-grauen Steig. Von vielen anderen Farben und Wahrnehmungen könnte ich noch schreiben – doch das ist Stoff für eine andere Geschichte, die anderswo geschrieben wird.