Meine Texte über die immerwährende Neutralität Österreichs sind zahlreich geworden, von kurzen Gedichten über Abhandlungen bis zu einem dicken Buch. Ich denke an Seminare zur Neutralität, an denen ich in den Oktobertagen rund um den Neutralitätsfeiertag mitwirken konnte, an Vorträge und Diskussionen über den Wert der Immerwährenden. Bei einem Kongress in Wien arbeiteten wir an Konzepten, wie Neutralität sich rechtlich sinnvoller auch als pazifistische realisieren ließe. Ich denke auch an Aktionen, die wir im Rahmen der „Neutralitätsinitiative Tirol“ durchgeführt hatten. Die so genannten Leistungsschauen des Heeres waren geeignete Anlässe für antimilitaristische Interventionen im Sinne einer Neutralität, die nicht zu noch mehr Kriegshysterie führt, nicht zu Aufrüstungsspiralen, nicht den Waffenhändlern in die Hände arbeitet und nicht zu schrittweisen Anbindungen an Militärbündnisse führt. Einmal entrollten wir hoch oben auf der Seegrube entlang der Felsen ein riesiges Transparent mit der Botschaft: JA ZUR NEUTRALITÄT – NEIN ZUR NATO. Rund um die Seilbahnstation fand zur gleichen Zeit eine Leistungsschau des Heeres statt. Menschen konnten auf rund 2000 Metern in Tuchfühlung mit dem Militär kommen. Das Transparent gefiel der Militärpolizei weniger. Seine Entfernung und eine Anzeige erfolgten. Ein anderes Mal beteiligten wir uns am Nationalfeiertag an einer großen Parade des Militärs. Zwischen marschierenden Soldaten und allerlei fahrendem Militärgerät waren wir zu finden: Mit Fahrrädern und Anhängern, auf denen die Botschaft stand: NEUTRALITÄT = ABRÜSTUNG = FRIEDEN. Eine Frau marschierte als Clown verkleidet mit. Und wieder hatte nun die Militärpolizei die Aufgabe, diese bunte Intervention aus der Parade zu entfernen. In einem anderen Jahr hatten wir eine drei Meter hohe Salami gezimmert mit einem ordentlichen Durchmesser. „NEUTRALITÄTSSALAMI“ stand drauf. Mit ihr standen wir in der Maria-Theresien-Straße, verteilten Scheibchen von der Salami, die nicht vom Handl kamen und nicht aus meist qualvoller Schweinezucht. Es waren Papierstücke, auf denen stand, wie scheibchenweise die Grundlagen der heimischen Neutralität verraten werden.
Und heute? Die Welt ist erschüttert von den Kriegen und der unermesslichen Gewalt im Nahen Osten, in der Ukraine und anderen Teilen der Welt. Der Kanzler eines Staates, der vereidigt ist auf eine Republik, die verfassungsgemäß auf den Grundlagen der Immerwährenden Neutralität ruht, bekundet seine volle Solidarität mit einem Staat, der den Krieg erklärt hat und mit voller militärischer Stärke seine Feinde zerstören will. Sollte die Botschaft der Republik Österreich nicht viel mehr – anknüpfend an die Tradition eines Bruno Kreisky – darin liegen, Vermittler zu sein? Das heimische Militär scheint die Gunst der kriegerischen Zeiten zu nützen. Zusätzliche 16 Milliarden Euro werden in den nächsten Jahren hierzulande für neue Waffen und Waffensysteme ausgegeben.
In dem Buch, das ich vor 20 Jahren gemeinsam mit meinem Freund Peter Steyrer schrieb, zitiere ich Petra Kelly: „Der Begriff Neutralität muss gefüllt werden mit einer positiven friedensschaffenden Politik, mit wirklicher Abrüstung, gewaltfreier Konfliktlösung und einer demokratischen Außenpolitik. Neutralität ist nicht nur ein Schritt hinaus aus dem Blockdenken und hinaus aus einem Sicherheitskonzept, das auf militärischen Allianzen gegründet ist. Neutralität ist auch ein Gegenbeweis zum Festhalten an einer Aufteilung der Welt nach militärischen Einflussgebieten.“
Klaus Heidegger, Nationalfeiertag, 26.10.2023