26. Oktober 2023. Am Tag, an dem Österreich sich als Nation feiern könnte, als Republik, die sich bildet nicht entlang nationalistischer Abgrenzungen, sondern als Gebilde, in dem unterschiedliche Ethnien selbstbewusst ihren Platz finden in einem größeren Ganzen, am Tag, an dem die Neutralität gefeiert wird und damit die Chancen im Blick sind, die sich bieten für eine besondere Politik: Nicht auf Krieg und Gewalt zu setzen, sondern sich aktiv nicht-militärisch für ein Ende der Gewalt in den Kriegsgebieten einzusetzen, nicht selbst zur Kriegspartei zu werden, sondern als Friedensvermittler aufzutreten. Und gerade an diesem Tag widerspricht das offizielle Österreich gemeinsam mit Ungarn (!) und Deutschland der so wichtigen Forderung nach einer sofortigen Feuerpause im Krieg Hamas-Israel. Bundeskanzler Nehammer und die Regierung – wo bleibt der Widerspruch eines einst pazifistischen Regierungspartners? – rittert Österreich in die Rolle eines Staates, der kriegerische Maßnahmen befürwortet, die humanitäre Katastrophen nach sich ziehen.
Der Nationalfeiertag wird in diesen Kriegszeiten zum Aufmarschgebiet des heimischen Heeres. „Mission vorwärts“ prangt in großen Lettern als neues Motto auf den olivgrünen Transparenten am Heldenplatz, wo die große Show stattfindet, wo Kriegsgerät präsentiert wird und Tausende Soldaten in Reih und Glied stehen, wo Befehle gebrüllt werden und später dann Kinder auf Kriegsgerät herumtollen können. Der ORF-Vorturner der Nation wird eingespielt, wie er mit Kindern am Heldenplatz turnt, die in übergroßes olivgrünes Outfit gesteckt wurden. In Innsbruck werden an diesem Feiertagsvormittag die letzten Langschläfer aus dem Schlaf gedonnert, als zwei Kampfjets über den Flughafen düsen, wo sie mit einem unerträglichen Lärm dann eine senkrechte Wende machen und die Feuerglut aus den Düsen über den Tausenden Menschen sichtbar wird, die sich zur großen Heeresschau am Flughafen eingefunden haben. Die Klebeaktion der „Letzten Generation“ fiel diesmal kurz aus, weil die Präsenz der Staatsgewalt sofort entschlossen einschritt. Die Militarisierung der Köpfe und Herzen darf an diesem Tag nicht gestört werden.
Dankbar bin ich an diesem Tag für das Zusammensein mit Menschen, die sich anderen Kräften anvertrauen, die in ihrer Wut und Verzweiflung angesichts der brutalen Gewalt, in ihrer Sehnsucht nach einem Ende der Gewalt und in ihrem Glauben an die Wirkkraft der Gewaltfreiheit sich stärken und dabei sich himmlischen Kräften im Gebet öffnen.
Zur gleichen Zeit, als am Landhausplatz der Nationalfeiertag mit einem großen Zapfenstreich begonnen wurde, war ich bei einer pro-palästinensischen Kundgebung vor dem Landhausplatz. Mit roten Grabkerzen wurde der Schriftzug Gaza ins Dunkle gestellt. Es wurde geschwiegen. Es gab keine Parolen. Es wurde sichtbar: Musliminnen und Muslime sind nicht für Gewalt und Terror, sind auch betroffen von dem brutalen Massaker der Hamas und sehen zugleich, welche Schreckenszeit Menschen in Gaza heute durchleben. Es braucht eine sofortige Feuerpause!
Am Tag, an dem die Zahl der Getöteten in Gaza auf mehr als 7000 stieg, an dem weiter einige Raketen von Gaza auf Israel und viel mehr noch von Israel auf Gaza geschossen wurden, an diesem Tag trafen wir uns in Innsbruck zu einem Friedensgebet in der „Kirche im Herzen der Stadt“. Wir haben miteinander gebetet, Menschen aus den drei abrahamitischen Religionen, geeint im Glauben an die Barmherzigkeit Gottes. Aus den Heiligen Schriften der drei großen Religionen wurden Texte gelesen, die zur Gewaltfreiheit inmitten von Krieg ermutigen. Der Weg zu Frieden und Gerechtigkeit für nicht über Gewalt. An einem Tag, an dem sich das heimische Heer feiern ließ, an dem militärische Denkmuster anlässlich des Nationalfeiertags zelebriert wurden, an dem zur Show Kampfflugzeuge über Innsbruck dröhnten – an diesem Tag war es bekräftigend zu wissen, dass Frieden möglich wäre, würden die Religionen – alle Religionen – ihren Söhnen und Töchtern das Kriegshandwerk verbieten.
Klaus Heidegger, 26.10.2023