In herbstlicher Wechselzeit auf das Judenkopfkreuz (2021 m) bei Wildermieming

Nach den ersten Schneefällen bis zur Waldgrenze sind die höheren Berge mit ihren Felswänden und ausgesetzten Routen nicht mehr geeignet für Besteigungen und zugleich reicht der Schnee noch nicht für Skitouren im freien Gelände. Auch sind jetzt Mitte November die Tage kurz geworden und kürzere Touren sind angebracht. Andere Berge rücken nun wieder in den Fokus und derer gibt es viele in meiner nächsten Umgebung, von denen ich manche noch nicht kenne und die sich alle auch mit Öffi-Rad-Kombinationen verbinden ließen. In dieser Jahreszeit sind sie besonders reizvoll und der Reiz gehört nur den wenigen, die es noch hinauslockt in die Berge. Das Ziel diesmal, das mir mein Freund eröffnet: Eine Rundtour auf einen der Judenköpfe. Schon öfters sind sie mir aufgefallen als markante Vorgipfel, die ein kleines Tal bilden mit der Judenklamm zwischen dem östlichen Mieminger Plateau und den mächtigen Südhängen der Mieminger Kette, in dem die Neue Alplhütte liegt.

Zunächst führt knapp außerhalb von Wildermieming ein Forstweg durch die lichten Kiefer- und Lärchenwälder, die so markant für die Hänge am Mieminger Plateau sind. Von dort wählen wir den steilen Serpentinenweg hinauf. Rasch gewinnen wir an Höhe. Bergwald geht in Latschenwald über und steil fällt es bald an manchen Stellen hinunter. Der Steig ist aber gut und nur an einzelnen Stellen inzwischen mit dem Neuschnee bedeckt, in dem sich Spuren finden. Vom Westen drückt es Niederschlagswolken hinein, die bald die Sonne verdecken. Überraschend für uns sitzt eine uns unbekannte Person beim Gipfelkreuz, die uns aber mit gemeinsam bekannten anderen Personen verbindet, wie wir dann beim Gipfelgespräch entdecken. Schneebedeckt sind die steilen Felswände von Karkopf und Hochwand und Plattigl, die eine andere Dimension des Bergsteigens darstellen. Beim Hinuntersteigen wählen wir nun einen sanfteren und längeren Weg, vorbei an Jägerhütten und vorbei an einer mystisch wirkenden Kapelle, die an die Geschichte des Hl. Wendelin erinnert. Ochsenbründl-Kapelle heißt sie und tatsächlich plätschert vor ihr Quellwasser in einen Brunnen. Ich schaue mir das Bild des Hl. Wendelin an, der Schafe hütend in einer Landschaft steht, die Wildermieming sein könnte. Krone und Zepter liegen ihm zu Füßen. Wendelin, der irische Königssohn, verzichtete auf Macht und Reichtum, um ganz in den Dienst Gottes und der Menschen und der Tiere zu treten: eine bleibende Leitfigur gerade auch für unsere Zeit. Der Graupelschauer geht nun in Regen über. Die Waldsteige fühlen sich nun noch angenehm sanfter an. Die Laubbäume – und vor allem die gelb-orange gefärbten Nadeln der Lärchen – streicheln der Seele und sind Balsam auf ihre Wunden. Am Tag, an dem an die Judenpogrome von vor 85 Jahren erinnert wird und antisemitische Vorfälle auch im Heute geschehen, stellt sich die Frage, warum heißen diese Erhebungen „Judenköpfe“. Der Verdacht drängt sich wohl auf, dass dies mit antisemitisch aufgeladenen Codes aus der Physiognomie zu tun hat.

Klaus Heidegger

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