Ausgangspunkt: Vom Segen der Sexualität in ganzheitlichen Beziehungen
Als Lehrperson für katholische Religion an einer Oberstufe konnte ich immer wieder Antwort geben auf die kritischen Anfragen, warum Religionen gegen Homosexualität seien. Das gab Gelegenheit, um mit Schülerinnen und Schülern genau hinzusehen auf die Bibel, die von Beginn an davon spricht, dass das Menschsein in seiner Ganzheit als göttliches Geschenk gesehen werden kann. Dieser Grundansatz inkludiert auch die hohe Wertschätzung der menschlichen Sexualität in ihrer biologisch-psychischen Vielfältigkeit, die auf Liebe und Partnerschaft hin orientiert ist. Der rote Faden durch alle biblischen Schriften lautet: in der ganzheitlichen Liebe offenbart sich göttliche Gegenwärtigkeit. Wo Partnerschaft und liebende Annahme als gnadenhaftes Geschenk erfahrbar werden, kann sich der Himmel öffnen. Diese Grunderfahrung – so zeigt es uns die „Natur“ des Menschen, unterscheidet nicht ob hetero, schwul, lesbisch, bi, divers oder queer. Wo zwei Menschen ein Ja füreinander spüren und leben, wo sie sich im Alltag stärken und beschenken – dort ist göttlicher Segen ganz nahe. Jede Diskriminierung von Beziehungen, die nicht dem gesellschaftlich vorherrschenden Hetero-Muster entsprechen, ist unbiblisch. Jede implizite Verurteilung von Partnerschaften, die nach einer Trennung oder Scheidung geschehen und auch als Geschenk eines neuen Anfangs erlebt werden, ist unbarmherzig.
Vom Segnen mit vielen „Aber“
Mit solchem Prolegomenon in meinem Kopf und Herzen habe ich in den letzten Tagen die vatikanische Erklärung „Fiducia supplicans“ über die Segnung homosexueller Paare studiert und Reaktionen darüber gehört und gelesen und mit anderen Menschen darüber gesprochen. Auch ich versuchte anfangs in Rechtfertigung meines eigenen Katholischseins noch das Gute an dieser Erklärung herauszufinden, wie es in der Öffentlichkeit meist rezipiert und selbst von katholischen Organisationen verstärkt wurde. Da wurde landauf landab erklärt, dass nun die katholische Kirche sich von Homosexuellenfeindlichkeit gelöst habe, in dem die Segnung homosexueller Paare nun erlaubt sei und dass damit ein wesentlicher Sprung in Richtung Gleichberechtigung gesetzt worden sei.
Um was geht es aktuell? Die oberste vatikanische Glaubensbehörde – das Dikasterium – hat in einem am 18. 12. 2023 veröffentlichten und von Papst Franziskus genehmigten Schreiben die Segnung von homosexuellen Paaren erlaubt. Und jetzt kommen die vielen „Aber“.
Aber solche Segnungen dürfen nicht im Rahmen von Gottesdiensten stattfinden. Der Zynismus solcher Äußerungen schmerzt. Ein Priester dürfe etwa Segnungen bei Wallfahrten durchführen oder eben außerhalb gottesdienstlicher Rituale. Ein zweites damit verknüpftes Aber lautet: Es soll zu keinen Verwechslungen mit kirchlichen Trauungen kommen. Das bedeutet letztlich: Homosexuelle Verbindungen sollen nicht gleichwertig mit gleichgeschlechtlichen Verbindungen erscheinen. Das dritte Aber schließlich, das wie eine Begründung für Aber 1 und Aber 2 gedeutet werden kann: Aber man muss homosexuelle Verbindungen weiterhin als außerhalb der Norm ansehen – oder, mit anderen Worten, als außerhalb der von der katholischen Moral definierten Norm. Das betrifft in gleicher Weise Paare, die sich etwa nach einer Scheidung bzw. Trennung in einer neuen Partnerschaft gefunden haben und laut katholischem Kirchenrecht nicht mehr eine Ehe eingehen können bzw. – um es drastischer auszudrücken, im Zustand der „Sünde“ miteinander leben.
Segnungen dürfen sein
Man kann es tatsächlich als kleinen, winzigen Schritt in Richtung Gleichberechtigung sehen, wenn nun homosexuellen Paaren eine Segnung durch einen katholischen Amtsträger unter bestimmten Umständen nicht mehr verwehrt wird. Noch vor zwei Jahren, im Februar 2021, hatte sich ein vatikanisches Dekret, ebenfalls von Papst Franziskus unterzeichnet, gegen Segnungen prinzipiell ausgesprochen und sie als unerlaubt erklärt. In vielen Ländern – unter anderem auch in Österreich – hatten sich Priester jedoch dafür ausgesprochen und durchaus Segnungen im Rahmen gottesdienstlicher Feiern durchgeführt. Auch im synodalen Prozess in Deutschland und Österreich sprach man sich dafür aus. Den sakramentalen Charakter solcher Beziehungen will die vatikanische Glaubensbehörde aber bewusst nicht sehen. Im Gegenteil. Man hält an der Doktrin fest, dass das Sakrament der Ehe ausschließlich für eine Beziehung von Mann und Frau, die noch nicht geschieden sind, gültig ist. Beziehungen in „irregulären Verhältnissen“ und gleichgeschlechtliche Beziehungen würden nicht dem „Plan Gottes in seiner Schöpfung entsprechen“. Das Ausleben der Sexualität sei der Ehe vorbehalten, die nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden könne.
Vatikanisches Nein zur „Ehe für alle“
Was aus der Sicht der Gleichberechtigung jedoch geboten wäre, wäre die Gleichwertigkeit von gemischt- und gleichgeschlechtlichen Beziehungen anzuerkennen und in letzter Konsequenz das Sakrament der Ehe nicht weiterhin nur den Verbindungen Mann-Frau zuzugestehen. Das Schreiben des Dekasteriums legt zwar kirchenrechtlich-liturgische Regelungen fest, unter denen Segnungen homosexueller Paare geschehen könnten, diffamiert sie aber zugleich als nicht der Norm entsprechend.
Als Rechtfertigung der vatikanischen Sichtweise wird gerne angeführt, dass man keine Kirchenspaltung riskieren wolle, weil ein Teil des weltweiten Bischofskollegiums noch lange nicht so weit sei in der Frage der Legitimität homosexueller Beziehungen. Hier muss kritisch nachgefragt werden, warum sich die vatikanische Glaubensbehörde von homophob denkenden Kirchenmännern bestimmen lässt und nicht auf jene hört, die mit theologischen und naturwissenschaftlichen Argumenten und auf der Basis der universellen Menschenrechte der jahrhundertealten Diskriminierung widersprechen.
Meine Schülerinnen und Schülern würden zurecht eine Argumentation ablehnen, die angeblich der katholischen Lehre entspricht, dass es keine Sünde sei, homosexuell zu empfinden, aber intime Handlungen „in sich nicht in Ordnung“ wären. Allein die Ehe zwischen Mann und Frau sei der Ort, um Sexualität ausleben zu können. In einem solchen Denken ortet der Wiener Theologe Paul Zulehner die Erklärung des Dekasteriums über die Segnungen von Homosexuellen. Solange sich jedenfalls nur irgendein Funken von dem diskriminierenden Grundgedanken hält, dass homosexuelle Handlungen an sich sündig seien, wird die sich die katholische Kirche in ihren obersten lehramtlichen Äußerungen nur in stets neuen merkwürdigen Papieren verrenken, die für all jene sehr schmerzlich sind, die katholisch denken und entweder in als „irreguläre Beziehungen“ diffamierten Partnerschaften oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben.
Ein regenbogenbunter Segen und ein regenbogenbuntes Segnen in einer diversen Welt
Was stünde in einem Katechismus, einem Lehrbuch der Kirche, geschrieben mit der Feder der Liebe über Menschen gleichen Geschlechts, die sich lieben auch mit der sexuellen Sprache ihrer Körper? Nicht mehr kleingeredet würde ein Segen, der liegt in ganzheitlicher Annahme, in wertschätzendem Zusammensein und in achtsam-zärtlichen Begegnungen. Festgehalten wäre als erstes: Gott ist die Liebe; in ihr liegt göttliche Gegenwärtigkeit. Solches Statement wäre der Ausgangspunkt aller Überlegungen. Diese Liebe ist bunt, ist bunt wie der Regenbogen, ist hetero oder schwul oder lesbisch oder queer, lässt sich orten vor und nach und in und außerhalb der Ehe, ist dort zu finden, wo Liebe nicht besitzergreifend ist, sondern befreit, wo Liebe nicht einengt, sondern frei macht, wo Liebe nicht selbstsüchtig ist, sondern sich hingibt.
Wie wäre die Verkündigung der Kirche, die fortführte die Botschaft der Bibel? Sie erzählte von Adam und Eva, die sich ihrer Nacktheit nicht schämen mussten, und von einer Gottkraft*, die zufrieden das Schöpfungswerk betrachtete und meinte, es sei „sehr gut“, damals im Garten Eden, als sie die Menschen in ihrer irdenen Nacktheit sah. Solche Verkündigung würde neu erklingen lassen das Hohe Lied der Liebe und sie würde mit dem Apostel Paulus formulieren, „aber das Größte von allem ist die Liebe“. Diese Verkündigung nähme die Menschwerdung des Göttlichen ganz ernst, ein Gott* mit Haut und Haaren, wo Leiblichkeit nicht verteufelt wird, sondern Himmlisches sich mit Erde verbinden darf.
Wie wäre eine Moraltheologie, die berücksichtigte die Erkenntnisse der Wissenschaft? Sie klassifizierte Homosexualität nicht als anormal, sondern betrachtete sie gleichwertig wie Heterosexualität. Anormal wären dann jene kruden Theorien ewig gestriger Männer, die Homosexualität als heilbare Krankheit bezeichnen. Als bodenlose Dummheit wären erkannt jene Sätze, die zwar Homosexualität nicht mehr verteufeln, zugleich aber sexuelle Ausübung ebendieser als Sünde bezeichnen. Endlich würde aufgegeben jenes längst überholte naturrechtliche Konstrukt, dass Sexualität stets offen sein müsste für Nachkommenschaft und als Voraussetzung für eine gültige Eheschließung ebendies fordert.
Wie wäre eine kirchliche Pastoral, die sich nicht länger mit schönen Worten zufriedengäbe? Sie würde jeglicher Diskriminierung in kirchlichem Handeln gegenüber Homosexuellen begegnen. Man würde Segnungsfeiern für Paare nicht an der geschlechtlichen Orientierung aufhängen und selbst eine kirchliche Trauung und Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wäre „normal“.
Ich glaube an eine Kirche, die schuldbewusst die homophoben Verirrungen der Vergangenheit erkannt hat und heute umso mehr jeglichen strukturellen Diskriminierungen begegnet. Sie sieht die Sünde dort, wo Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen strukturell benachteiligt oder ausgeschlossen werden. Dann wird meine Kirche eine regenbogenbunte sein, in der die regenbogenbunte Gottheit in ganzer Buntheit ein Zuhause hat.
Klaus Heidegger
Die obere Hierarchie ist, obwohl sie weithin inzwischen die Buntheit nicht nur der profanen Welt, sondern auch die Buntheit in ihren eigenen Reihen sieht, nicht bereit, sie als gottgewollte Realität anzuerkennen. Es ist einfach Angst und fehlender Mut, ungewohnten Wahrheiten zu entsprechen. So kommen halt nur kleinste Vorwärtsschritte zustande.