Fortbestehende vatikanische Vorverurteilungen und Ablehnungen diverser Beziehungsmöglichkeiten

Als ich Ende letzten Jahres einen kritischen Artikel[1] zur Erklärung „Fiducia supplicans“ über die Segnung von „irregulären Beziehungen“ verfasste, stieß ich meist noch auf Unverständnis und Abwehr. Es sei doch, so wurde mir gesagt, ein großer Fortschritt, dass der Papst bzw. der Vatikan nun eine positive Einstellung zu gleichgeschlechtlichen Segnungsfeiern eingenommen hätten. So manche Medien schrieben gar davon, dass der Papst grünes Licht für die Segnung von homosexuellen Paaren gegeben habe. Jene, die so euphorisch einen katholischen Paradigmenwechsel sahen, dürften nach den jüngsten vatikanischen Erläuterungen zur Erklärung wohl nun ernüchtert sein. Diese Klarstellungen vom 4. 1. 2024 sind aber letztlich nur die konsequente Logik aus dem, was in der vorangegangenen Erklärung bzw. noch einmal mehr in der weiterhin gültigen Lehrmeinung der katholischen Kirche, wie sie beispielsweise im Weltkatechismus festgeschrieben ist, grundgelegt ist.  Die Klarstellung lautet, dass eine Segnung nur eine Dauer von 10 bis 15 Sekunden betragen dürfe, dass sie ohne Ritual und ohne Benediktionale zu vollziehen sei, dass sie nicht an einem wichtigen Ort in der Kirche stattfinden darf und dass diese Segnung keine Billigung oder Rechtfertigung für die Beziehung sein soll, in der sich dieses Paar befindet. Der Heilige Geist sollte wirken, dass sich diese Personen befreiten, was nicht dem göttlichen Willen entspräche, und zu einer Reinigung führe. Das alles liest sich wie ein zynischer Kommentar zu einer miefig-vorgestrigen katholischen Morallehre. Doch es ist nicht zu lachen. Es ist ernstgemeint. Es ist letztlich menschenverachtend und stimmt mich abgrundtief traurig. Ich schäme mich für meine Kirchenleitung in Rom. Ich denke an die vielen Paare, die laut vatikanischer Definition in „irregulären Beziehungen“ leben, die beispielsweise nach einer Trennung in einer neuen Beziehung gnadenhaft sich einander Liebe schenken können, oder an schwule oder lesbische Paare, in deren Beziehung so viel von dem durchscheint, was wohl als göttlicher Willen bezeichnet werden könnte. Sie sollen mit einem zweifelhaften Segen abgespeist werden – irgendwo in Sekundenschnelle in einem Besenkammerl des Kirchengebäudes. Warum nicht gleich im Beichtstuhl, wo ihnen ein Priester erklären könnte, dass sie in Sünde leben würden. Zum Glück mehren sich nun Stimmen, die die jüngsten vatikanischen Erklärungen und Erläuterungen tiefgründig analysieren und kritisieren.[2] Pointierte Worte fand der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke.[3] Er tituliert die jüngsten vatikanischen Äußerungen als „toxische Barmherzigkeit“, spricht von einem „katholischen Double-bind zum Machterhalt“ und einer „Pastoral subtiler Demütigung”. Im Text der vatikanischen Erklärung erkennt Lüdecke mehr „Zementierung“ als Liberalisierung und spricht von einer „bodenlos frechen und diskriminierenden Mogelpackung“. Das Urteil von Lüdecke ist anders als so manches Wunschdenken über eine Trendumkehr in der römisch-katholischen Kirche: „Die Kirche verspricht vordergründig Zuwendung, lehnt Lebensäußerungen der sexuellen Orientierung aber nach wie vor ab und verlangt den Verzicht darauf, also anteilige Selbstverleugnung. Das sind potentiell krankmachende Doppelbotschaften (double bind). Solche Barmherzigkeit ist entwürdigend und toxisch. Wer sie weiterhin papstbejubelnd anpreist und Menschen mit selbst gezimmerten paraliturgischen Ritualen dazu animiert, ihren Segenswunsch als Bitte um gnädige Heimkehr ins katholische Moralreich gedeutet zu sehen, statt zu helfen, sich vom Anerkennungsbedürfnis durch dieses klerikale Moralregime zu emanzipieren, der sollte aufhören zu behaupten, sich für die Würde und Gleichberechtigung sexueller Minderheiten einzusetzen.“

Was mich angesichts der vatikanischen Verirrungen ermutigt, ist der Blick auf eine andere Moraltheologie, wie sie in dem neuen Buch von Martin Lintner über christliche Beziehungsethik formuliert wird. Was mich tröstet, sind die vielen Seelsorger und Seelsorgerinnen, die sich mit ihren Segnungsfeiern nicht an die vatikanischen Vorgaben halten werden. Was mich stärkt, sind die Erfahrungen und die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die von einem gelingenden Leben in Beziehungen erzählen, die nur mit vatikanischen Augen als „irregulär“ abgestempelt werden, in denen aber göttlicher Segen in reichem Maße vorhanden ist.

Klaus Heidegger, 7. Jänner 2024


[1] Von der bleibenden Diskriminierung gleichgeschlechtlicher und „irregulärer Beziehungen“ in einer vatikanischen Festlegung, http://www.klaus-heidegger.at/?p=9760

[2] Vgl. z.B.: An Gottes Segen ist alles gelegen, in:

https://www.feinschwarz.net/an-gottes-segen-ist-alles-gelegen/, online 7.1.2024.

[3] Lüdecke Norbert, in: https://eulemagazin.de/toxische-barmherzigkeit-luedecke-katholisch-kirche-lgbtqi-outinchurch-papst-franziskus-fiduciasupplicans/

Kommentare

  1. Lieber Klaus, ich stimme dir vollends zu, und auch ich schäme mich, diese „Kirche“ als R-Lehrerin auch nach außen zu repräsentieren. Ich habe in meinem Umfeld viele Freund*innen und Bekannte, die in homosexuellen Partnerschaften leben und denen der Glaube und die Mitfeiern in einer Gemeinschaft sehr wichtig ist. Die Aussagen des Vatikans sind wie eine „Watschen“ für diese Paare. Und ich sehe in diesen Erläuterungen zu den Segnungen eine schöne Umschreibung dessen, was früher Exorzismus genannt wurde – die Reinigung und Befreiung von Sünde, Teuflischem, … unter dem Decknamen „Segnung“. Es ist wirklich sooo schwer, mit gutem Gewissen (noch) dazugehören zu wollen. Danke für deine klaren Worte – immer wieder! Liebe Grüße Vroni

  2. Lieber Klaus, ich stimme dir vollinhaltlich zu. Die angeführten Schritte sind nichts anderes als Stillstand und in den Erwartungen vieler damit ein Rückschritt.

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