Groove auf die Straße
Die Musik vom StreetNoiseOrchestra Innsbruck übertönt am Montag Nachmittag für zwei Stunden den Autolärm. Mehr Groove auf die Straße zu bringen ist die politische und lebensfrohe Botschaft der Streetband. Die Trommeln und Blechblasinstrumente, die Art und Weise, wie gespielt wird, wie Musik gemacht wird, unterstreicht die Botschaft: eine andere Welt, eine klimasensible Welt ist möglich. Dafür braucht es freilich Aktivismus und Intervention. Zwei Tage zuvor war die das StreetNoiseOrchestra bei der Demonstration „Grenzen töten“. Am Montag nachmittags ging die Band dem Demozug der Letzten Generation voran. Die orange-grüne Musikgruppe passt so gut zu den Aktionen der Letzten Generation.
Slow March und Sitzblockade
Die Aktionsformen der Letzten Generation haben sich verändert. Im Vordergrund ist nun nicht das namensgebende Festkleben. Am Beginn steht ein Slow March: Vor der Band gehen mit ihren orangen Warnwesten vier Teilnehmer:innen der Letzten Generation mit dem bekannten Banner „Hört auf den Klimarat“ und dem Löwenzahn-Logo auf schwarzem Grund. Am Demonstrationszug-Ende nochmals vier Aktivist:innen mit dem Banner. Dazwischen wir – die Unterstützenden. Wohl weniger als hundert sind wir. Die Protestform ist wie immer gut organisiert. Die Polizei ist informiert und agiert höchst professionell. Zum einen wird der Verkehr umgeleitet, zum anderen sind die blaublinkenden Polizeiautos vor und hinter dem Demozug. Das wirkt beschützend gegenüber wütenden Automenschen. Der übliche Autoverkehr entlang einer vielbefahrenen Straße wird radikal abgebremst. Es geht dann dem Südring entlang – die am meisten befahrene Straße Innsbrucks. Der Demozug endet bei der Hauptkreuzung. Alle setzen sich auf die Straße. Die Streetband spielt sitzend.
Global ungebremst und winzig klein abgebremst
Ich blicke in den Abendhimmel, der durchzogen ist von Kondensstreifen. Auf der gegenüberliegenden, nichtblockierten Fahrspur rollt der Verkehr als zäh-stinkende und lärmende Masse. Es ist Anfang Februar und warm wie an einem Sommerabend. Im Jahr 2024, so die Klimaforschung, wird die globale Durchschnittstemperatur das 1,5 Grad-Ziel der Pariser Klimakonferenz überschreiten. In den letzten Tagen waren wieder die vielen Meldungen über Rekordtemperaturen zu lesen und zu hören. „Hört auf den Klimarat!“ „Runter vom Gas, wir rasen in die Klimahölle“ steht auf den Transparenten. „Klimaschützen ist kein Verbrechen“ wird von uns Demonstrierenden immer wieder gerufen. Die beiden Verantwortlichen der Letzten Generation werden mit einer Anzeige rechnen müssen. Ich halte das Transparent der „Scientists for Future“. Es zeigt die Skala der Erhitzung der Erde seit Beginn der Aufzeichnungen – von tiefblauen Streifen bis zu knallroten. Ich denke an die vielen Berichte aus der Klimaforschung. Die dramatischen Berichte werden verdrängt. Deswegen sind wir auf der Straße, deswegen wird blockiert, nicht aus Jux und Tollerei, auch wenn der Widerstand Spaß machen darf. Die Kipppunkte mit ihren unumkehrbaren Folgen sind fast erreicht. Während ich die gegenüberliegende Blechschlange – ein Euphemismus! – sehe, denke ich an die fernen verschwindenden Korallenriffe und das schmelzende Grönlandeis und den Amazonasregenwald, Wirklichkeiten, die doch irgendwie so nahe sind, an die Permafrostböden, die in meinen nahen Gebirgen ebenso auftauen. Ich denke an meine Nachkommen: Am Ende des Jahrhunderts würde – so die Berechnungen – bei gleichbleibendem CO-2-Ausstoß, die globale Erwärmung drei Grad plus betragen. Der prognostizierte Temperaturanstieg in Österreich läge bei 5 Grad. Der Klimaforscher Schellnhuber sprach kürzlich bei einem Anstieg von vier Grad vom „Ende der Zivilisation“. Ein Drittel des heute bewohnbaren Raumes in der Welt wäre unbewohnbar. Bei vier Grad Plus verlören 2 bis 3 Milliarden Menschen ihren Lebensraum. Riesige Migrationsbewegungen würden zu Kriegen führen. Der Meeresspiegel würde laut Berechnungen des IPCC bis 2300 bis zu 15 Meter steigen.
Bella Ciao …
Nach gut einer halben Stunde ist die Blockade der Grassmayr-Kreuzung beendet. Mein Hintern ist vom Sitzen auf der kalten Straße unterkühlt. „Bella Ciao …“ – das Widerstandslied – gehört zum Repertoire der Streetband. Der Widerstand wird weitergehen. Der Kampf gegen den Klimawandel ist noch nicht verloren. Verschwendungsemissionen – sie betragen rund 50 Prozent aller Emissionen – können sofort beendet werden, ohne dass es zu einem Verzicht auf eine Lebensqualität kommen müsste. Der Widerstand wird sich auch beweisen müssen im eigenen ökologischen Fußabdruck und Handabdruck.